- Immunsystem: Intelligenter Widerstand
- Immunsystem: Intelligenter WiderstandZahlreiche Krankheitserreger, vor allem Bakterien und Viren, gelangen ständig in den menschlichen Körper. Unser Immunsystem verhindert in den meisten Fällen sehr wirkungsvoll den Ausbruch einer Erkrankung. Dabei bedient es sich sowohl unspezifischer, ganz allgemeiner Immunantworten als auch spezifischer, auf »Erfahrungen« von Immunzellen beruhender Reaktionen, die zur Bildung eines »Zellgedächtnisses« beitragen können.Der Aufbau des ImmunsystemsDas menschliche Immunsystem umfasst die primären Lymphorgane, den Thymus und das rote Knochenmark sowie die sekundären Lymphorgane wie Milz, Gaumen- und Rachenmandeln, den Wurmfortsatz des Blinddarmes und zahlreiche, in die Lymphbahnen eingeschaltete Lymphknoten, in denen dieAntikörper gebildet werden.Wesentliche Teile der Immunantworten auf ein auslösendes Antigen übernehmen die weißen Blutkörperchen. Etwa 25 Prozent von ihnen sind die Lymphzellen oder Lymphozyten, die man in B- und T-Lymphozyten unterteilt. Sie sind die zelluläre Grundlage des Immunsystems. Die Gesamtzahl der Lymphozyten schätzt man auf ein bis zwei Billionen Zellen. Ihre gesamte Zellmasse entspricht in etwa der des Gehirns oder der Leber.Die im Knochenmark reifenden B-Lymphozyten erzeugen die Antikörper und geben diese an die Lymphe und das Blut ab. B-Lymphozyten wandern auch in die sekundären Lymphorgane, besonders in die Lymphknoten, ein oder kreisen »auf der Suche« nach Fremdmolekülen im Blutstrom.Die T-Lymphozyten besiedeln nach ihrer Entstehung im Knochenmark während der Kindheit und Jugend den Thymus, wo sie ausreifen und »lernen«, Oberflächen, denen sie begegnen, als körpereigen oder fremd zu unterscheiden. Auch diese Zellen wandern im Körper umher. T-Lymphozyten können keine Antikörper bilden. Sie besitzen an der Oberfläche ihrer Zellmembran eine Art »Erkennungsmoleküle«, Rezeptoren, mit Spezifität für je ein Antigen an ihrer Oberfläche, welches sie jedoch nur in gebundener Form erkennen können.Nach ihren Aufgaben unterteilt man die T-Lymphozyten in verschiedene Arten. Die drei wichtigsten sind T-Helferzellen, T-Unterdrückerzellen und cytotoxische T-Zellen. T-Helferzellen stimulieren die B-Lymphozyten zur Bildung von Antikörpern, T-Unterdrückerzellen hemmen die Teilung der B-Lymphozyten und die Bildung von cytotoxischen T-Zellen und können so eine Immunantwort beenden oder eine zu stark ausfallende Reaktion begrenzen. Cytotoxische T-Zellen erkennen und vernichten Zellen, die von Viren befallen sind sowie körperfremde und eigene entartete Zellen. Sie sind damit beispielsweise bei der Kontrolle von Krebserkrankungen durch den Körper von wesentlicher Bedeutung.An Immunreaktionen sind auch noch Mastzellen beteiligt, die bei Entzündungsreaktionen mitwirken, ferner natürliche Killerzellen, die ebenfalls zu den weißen Blutkörperchen gehören. Diese erkennen Fremdorganismen auch in ungebundener Form und vernichten diese genauso wie veränderte körpereigene Zellen (zum Beispiel Krebszellen).Die unspezifischen ImmunreaktionenWie bereits erwähnt, unterscheidet man bei den Immunreaktionen zwischen unspezifischen und spezifischen Antworten. Unspezifische Abwehrmechanismen werden auch ganz allgemein als Resistenz bezeichnet. Sie sind angeboren und funktionieren auch, wenn der Organismus zuvor noch nie einem Krankheitserreger ausgesetzt war. Hierzu gehören Sekretbildungen wie Tränenflüssigkeit, Speichel und Nasensekret, die durch ihre schleimige Konsistenz Mikroorganismen und Fremdkörper einhüllen, sodass sie zusammen mit diesen Ausscheidungen aus dem Körper entfernt werden können. Außerdem befindet sich in einigen dieser Substanzen das Enzym Lysozym, welches die Zellwände eindringender Bakterien auflösen kann. Weitere Enzyme befinden sich im Blutserum und sind hier in komplizierter Weise zum Komplementsystem zusammengeschlossen. Dieses zerstört die Membranen von Mikroorganismen, spaltet fremde Proteine und regt Fresszellen (Phagozyten) zur Vernichtung schädlicher Substanzen an. Der Name dieses Systems leitet sich aus dem Englischen ab und stammt daher, dass es die Immunreaktionen unterstützt (complement = Ergänzung).Eine wesentliche Proteingruppe bei der Verteidigung des Körpers gegen virale Infektionen sind die Interferone. Sie werden wenige Stunden nach Eindringen der Viren in den Organismus gebildet und hemmen deren Vermehrungsfähigkeit. Außerdem steigern sie die Aktivität von Fresszellen. Gentechnisch hergestellte Interferone werden zur Behandlung von Virus- und Tumorerkrankungen eingesetzt.Letztlich unterliegen alle eingedrungenen Bakterien und Viren einem als Phagozytose bezeichneten Vorgang, bei dem das Fremdmolekül oder Fremdpartikel von bestimmten, dafür vorgesehenen weißen Blutkörperchen, wie Makrophagen oder Granulozyten, aufgenommen und verdaut wird. Die Überreste dieser Zellen können dann im Eiter ausgeschieden werden.Spezifische AbwehrmechanismenSpezifische Abwehrsysteme gewinnen ihre Wirksamkeit erst durch die Auseinandersetzung mit dem Fremdkörper. Daraus folgt, dass der Körper diese Form der Immunantwort erst im Laufe seines Lebens »erlernen« muss; man spricht dann von erworbener Immunität. Das spezifische Immunsystem erkennt fremde Moleküle mit hoher Präzision und entfernt sie aus dem Körper. Daraus ergibt sich, dass eine enorme Vielfalt an möglichen Immunantworten zur Verfügung steht. Im Laufe einer Infektion entwickelt sich ein immunologisches Gedächtnis; so ist der Körper in der Lage, beim nächsten Kontakt mit demselben Auslöser früher und wirkungsvoller zu reagieren. Das Immunsystem muss »lernen«, zwischen körpereigenen und körperfremden Molekülen zu unterscheiden.Die maßgeblichen Werkzeuge zur Ausübung spezifischer Immunantworten sind die B- und die T-Lymphozyten. Ihre Reaktionen laufen als Antigen-Antikörper-Reaktionen ab. Viele Fremdmoleküle können als Antigene wirken, wobei nicht das gesamte Antigen erkannt wird, sondern nur bestimmte Atomanordnungen an seiner Oberfläche. Zu deren Erkennung sind außer manchen Zellen auch die Antikörper befähigt. Diese werden von den B-Lymphozyten gebildet, die etwa 10 Prozent des gesamten Lymphozytenbestandes ausmachen. Bei den Antikörpern handelt es sich um bestimmte Proteine, die präziser auch als Immunglobuline bezeichnet werden, und die man in verschiedene Klassen einteilt.Die häufigsten und am besten bekannten sind die Immunglobuline der G-Klasse. Sie bilden etwa 75 bis 80 Prozent der frei im Organismus zirkulierenden Antikörper. Für jedes Antigen, mit dem der Organismus sich im Laufe seines Lebens möglicherweise auseinander setzen muss, steht ein passender Antikörper zur Verfügung. Jede Antikörper produzierende Zelle bildet nur eine bestimmte Sorte von Antikörpern. Wissenschaftler schätzen die Zahl der verschiedenen Antikörper, die einem ausgewachsenen menschlichen Organismus zur Verfügung stehen, auf mehrere Milliarden.Immunabwehr in drei EtappenGelangt ein Antigen erstmals in den Körper, läuft die Immunreaktion in drei Phasen ab. In der ersten Phase muss das Antigen erkannt, gebunden und einem T-Lymphozyten präsentiert werden. Dieser wird dadurch aktiviert und zur Teilung angeregt. T-Helferzellen lösen bei denjenigen B-Lymphozyten Teilungen aus, die zum Antigen passende Antikörper bilden können. In der zweiten Phase kommt es zu einer starken Vermehrung dieser B-Lymphozyten und dadurch zu einer erhöhten Antikörperproduktion. Dieser Anstieg der Lymphozytenzahl ist als Lymphknotenschwellung in der Nähe eines Infektionsherdes zu tasten. In der dritten Phase bildet sich der Immunkomplex, bestehend aus dem Antigen und dem Antikörper. Teilweise verliert das Antigen bereits durch diese Bindung seine schädigende Wirkung. Der Immunkomplex kann nun das Komplementsystem aktivieren und von diesem abgebaut werden.Sind nur noch wenige oder keine Antigene mehr vorhanden, schalten sich die T-Unterdrückerzellen ein und stoppen die Immunreaktion, da diese sonst auf Dauer dem Körper Schaden zufügen würde. Es käme zu einer heftigen Entzündung, in deren Verlauf Teile des Gewebes zerstört werden könnten. Jedoch bleiben Gedächtniszellen im Körper zurück, die sich bei einem erneuten Zusammentreffen mit dem Antigen an dieses »erinnern« und sofort entsprechend reagieren können. Bei einer wiederholten Infektion mit demselben Erreger kommt es dann oft gar nicht mehr zu einer Erkrankung. Das gilt für einige Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken, für die oft eine lebenslange Immunität erworben wird. Dieser jahrzehntelang anhaltenden Immunität verdanken die Kinderkrankheiten auch ihre eigentlich irreführende Bezeichnung. Erwachsene erkranken eben nur deshalb seltener, weil sie als Kinder bereits immun wurden.Zellvermittelte ImmunantwortenNeben den beschriebenen Antigen-Antikörper-Reaktionen können Antigene auch T-Lymphozyten zur Vermehrung und Aktivierung veranlassen, wobei spezifische T-Effektorzellen entstehen. Die T-Lymphozyten tragen auf ihrer Membran den zum Antigen passenden Rezeptor. Hierbei handelt es sich um eine spezifische Molekülformation, die sich genau in die Oberfläche des Antigens einfügt. Nur diejenigen Zellen, bei denen Antigen und Rezeptor zusammenpassen, werden zur Vermehrung angeregt. Den T-Lymphozyten muss das Antigen allerdings von auf diese Aufgabe spezialisierten antigenpräsentierenden Zellen dargeboten werden. An dieser Form der Immunantwort sind cytotoxische T-Zellen, T-Helfer- und T-Unterdrückerzellen beteiligt. Wie bereits bei der Antigen-Antikörper-Reaktion beschrieben, arbeiten T-Helfer- und T-Unterdrückerzellen an beiden Formen von Abwehrreaktionen mit.Bei der zellvermittelten Antwort können die cytotoxischen T-Zellen zusammen mit den Helferzellen die Erreger mit als fremd erkannten Molekülen abtöten. Die Helferzellen bewirken durch die Ausschüttung von Cytokinen, einer Art »Hormon des Immunsystems«, die Aktivierung der cytotoxischen T-Zellen. Als Fremdstrukturen werden Oberflächenmoleküle von Tumorzellen, Bakterien oder auch Zellen von Gewebetransplantaten angesehen. Die cytotoxischen T-Zellen lagern sich an die Fremdzellen mit den reizauslösenden Antigenen an und lösen deren Zellmembran auf. Auch hier führen die T-Unterdrückerzellen ein Ende der Immunantwort herbei, und auch bei dieser Immunantwort kommt es zur Bildung von Gedächtniszellen.Prof. Dr. Carsten NiemitzWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Allergien und AutoimmunkrankheitenKautzmann, Gabriele: Krieg in unserem Körper. Wie das Immunsystem unser Leben schützt. München 1998.Roitt, Ivan M.: Leitfaden der Immunologie. Aus dem Englischen. Berlin 41993.
Universal-Lexikon. 2012.